Quelle: Havadis Leser
Foto: Chatgpt, Dall-E
Autor: Bülent Güven

Datum: 18/02/2025
Kategorie: Welt

Der Zusammenbruch der Atlantikbrücke

Diesen Ausdruck verwendete der US-Vizepräsident J. D. Vance am vergangenen Freitag auf der Münchner Sicherheitskonferenz in seiner Rede, die sich gegen die europäischen Staaten richtete. Um zu verstehen, wie sich die Beziehungen zwischen den USA und Europa unter Donald Trump entwickeln werden, lohnt es sich, diesen Satz immer wieder in Erinnerung zu rufen. Man kann diesen Satz als Warnung, Drohung und in gewisser Weise als Weggabelung für Europa seitens der USA interpretieren. Doch um zu begreifen, dass diese Entwicklung nicht nur auf die Ära Trump beschränkt bleibt, lohnt sich ein Blick in die Vergangenheit.

Amerikas Warnungen an Europa
Seit dem Ersten Weltkrieg war Europa das Hauptaugenmerk der US-Außenpolitik.
Vor allem nach dem Zweiten Weltkrieg stationierten die USA erhebliche Truppenkontingente sowie militärische Ausrüstung – darunter Raketen und Atombomben – in Europa, um ihren Hauptgegner, die Sowjetunion, einzudämmen.

Nach dem Ende des Kalten Krieges zogen die USA einen großen Teil ihrer Truppen ab. Während sich heute etwa 40.000 US-Soldaten in Europa befinden, waren es während des Kalten Krieges über 400.000. Ein Hauptgrund für diesen Rückzug war, dass die USA Russland nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion nicht mehr als große Bedrohung betrachteten.

Von der Ära des Kalten Krieges bis heute: Die US-Europapolitik
Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion und während der Amtszeit von Boris Jelzin sowie in den ersten Jahren von Wladimir Putin verfolgte Russland eine prowestliche Politik.
Daher betrachteten die USA Europa nicht mehr als sicherheitspolitisch relevante Region.

Aus diesem Grund reduzierten auch die europäischen Staaten nach dem Kalten Krieg ihre Truppenstärken und Militärausgaben erheblich. Während europäische Länder während des Kalten Krieges im Durchschnitt 4 % ihres BIP für Verteidigung ausgaben, sank dieser Anteil in den folgenden Jahren auf rund 1 %. Die Truppenstärken wurden um etwa zwei Drittel reduziert.

Putins Aufstieg und Russlands neue Bedrohungspolitik
Doch ab 2008 verfolgte Russland eine revanchistische Politik – als Reaktion darauf, dass die US-Regierung unter George W. Bush, trotz des starken Widerstands der deutschen Regierung unter Angela Merkel, Georgien und der Ukraine eine NATO-Beitrittsperspektive eröffnete.

Russland sah die NATO-Osterweiterung und die Errichtung von Raketenabwehrsystemen als direkte Bedrohung und intervenierte 2008 militärisch in Georgien sowie 2014 in der Ukraine.

Chinas Aufstieg und die neue US-Asienstrategie
Parallel zu den sich erneut verschärfenden Spannungen zwischen Russland und dem Westen begann China, eine weitaus größere geopolitische Bedrohung darzustellen. Die USA stuften China zunehmend als ihren Hauptkonkurrenten ein.

Der damalige US-Präsident Barack Obama verkündete 2011 die „Pivot to Asia“-Strategie, mit der die USA ihren militärischen Fokus auf Asien verlagerten. Daraufhin begannen sie, ihre Truppenstärke in Verbündeten wie Südkorea, Australien und Japan zu erhöhen.

Während die USA ihre militärische Präsenz nach Asien verlagerten, forderten sie von ihren NATO-Partnern in Europa, ihre Verteidigungsausgaben zu erhöhen und sich stärker gegen die russische Bedrohung zu rüsten.

Diese Forderung wurde unter Obama, Trump und Biden immer wieder gestellt. Während Obama und Biden diplomatische Worte wählten, sprach Trump die Forderung deutlich aggressiver aus.
Die europäischen Staaten ignorierten dies jedoch – bis Russland im Februar 2022 erneut einen Krieg gegen die Ukraine begann.

Europas schrumpfende Verteidigungsausgaben und wachsende Bedrohungen
Seitdem, insbesondere Deutschland, haben die europäischen Staaten ihre Verteidigungsausgaben erhöht. Doch diese Erhöhungen reichen bei weitem nicht aus, um sich ohne US-Hilfe gegen eine russische Bedrohung zu verteidigen.

Deutschland etwa investierte über Jahre hinweg nur rund 1,2 % seines BIP in Verteidigung – mittlerweile sind es 2 %. Rechnet man dies auf die letzten 25 Jahre hoch, hat Deutschland durch niedrige Militärausgaben etwa 1 Billion Euro eingespart.

Europas militärische Abhängigkeit in der Trump-Ära
Die Rede von Vizepräsident Vance auf der Münchner Sicherheitskonferenz machte deutlich, dass diese Situation nicht weiter Bestand haben wird.

Er betonte:

„Ich bin mir sicher, dass Sie hier sind, um zu besprechen, wie Sie Ihre Verteidigungsausgaben in den kommenden Jahren erhöhen werden. Das ist großartig, denn Präsident Trump hat klargemacht, dass unsere europäischen Freunde eine größere Rolle für die Zukunft dieses Kontinents übernehmen müssen.“

Vance unterstrich zudem, dass Europa künftig nicht mehr mit militärischer Unterstützung der USA rechnen könne – außer im Bereich des nuklearen Schutzes.

Eine neue Ära der europäischen Sicherheitsstrategie?
Vor diesem Hintergrund sind in Europa zwei zentrale Strategien zur Diskussion gestellt worden:

Europa gibt den USA wirtschaftliche Zugeständnisse, um militärische Unterstützung zu sichern – z. B. niedrigere Zölle für US-Autos, höhere Gasimporte aus den USA oder bevorzugte Rüstungsaufträge für US-Firmen. Europa macht sich militärisch unabhängig von den USA, indem es seine politische und wirtschaftliche Integration vertieft. Die erste Strategie scheint angesichts der Aussagen von Vance keine realistische Option mehr zu sein. Die zweite Strategie wird jedoch von rechten Parteien in vielen europäischen Ländern blockiert – etwa in Italien, Ungarn und zunehmend auch in Deutschland und Frankreich.

NATO und die Trump-Regierung: Neue Perspektiven
Sollte Trump erneut Präsident werden, könnte die NATO ernsthafte Existenzprobleme bekommen.
Er hat bereits NATO-Mitglieder wie Kanada und Dänemark mit Annexionen und Invasionsdrohungen unter Druck gesetzt.

Die militärische Kapazität der NATO besteht zu etwa 50 % aus US-Truppen. Ohne die USA wäre die NATO faktisch wehrlos. Das NATO-Verteidigungskonzept geht davon aus, dass die USA im Falle eines Angriffs auf ein europäisches NATO-Mitglied innerhalb eines Monats mit 100.000 Soldaten und entsprechender Ausrüstung eingreifen würden. Falls dies nicht geschieht, wäre Europa militärisch nahezu schutzlos.

Europas Verwundbarkeit gegenüber Russland
Sollte Russland seine Kriegswirtschaft weiter intensivieren und langfristig auf einen Konflikt mit Europa setzen, wäre der Kontinent – wie in der Vergangenheit – einer erheblichen Bedrohung ausgesetzt.
Zudem verfügt Europa über keine ausreichende nukleare Abschreckung.

Frankreich und Großbritannien besitzen zwar Atomwaffen, doch diese sind strategischer Natur und in viel geringerer Anzahl vorhanden als die nuklearen Arsenale Russlands oder der USA.
Zudem verfügen die USA und Russland über taktische Atomwaffen für begrenzte nukleare Operationen – Europa hingegen nicht.

Schlussfolgerung: Europas Zukunft in der geopolitischen Unsicherheit
Um aus diesem Dilemma herauszukommen, müsste Europa seine Verteidigungsausgaben innerhalb der nächsten zehn Jahre auf mindestens 6-7 % des BIP erhöhen. Zusätzlich bräuchte es Sonderfonds in Höhe von ca. 1 Billion Euro zur Schließung seiner Munitionslücken. Nur unter diesen Bedingungen könnte Europa in einem Jahrzehnt militärische Eigenständigkeit erreichen.

Bis dahin bleibt Europa darauf angewiesen, mit den USA zu verhandeln und wirtschaftliche Zugeständnisse zu machen, um zumindest für die nächsten zehn Jahre eine Sicherheitsgarantie zu erhalten.

Denn die alte Weltordnung, die im 20. Jahrhundert geschaffen wurde, ist endgültig zusammengebrochen – und was danach kommt, bleibt völlig ungewiss.

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