Quelle: Havadis
Foto: Freepik
Autor: Pelin Santor

Datum: 13/05/2025
Kategorie: Allgemein

Der Mensch, der im Schatten der Macht zu Gott wird: Der Aufstieg der Arroganz im Spiegel der Geschichte

Die Menschheitsgeschichte ist reich an Beispielen für die betörende und verwandelnde Wirkung der Macht. Die erschütternden Fälle, in denen sterbliche Körper in der berauschenden Atmosphäre der Macht von einer göttlichen Aura umgeben waren, haben sich in verschiedenen geografischen Regionen und zu unterschiedlichen Zeiten gezeigt. Die mächtigen Pharaonen des alten Ägypten erklärten sich zu Gottkönigen und herrschten als Repräsentanten der göttlichen Ordnung auf Erden. Die riesigen Pyramiden, die sie erbauten, waren nicht nur ein Beweis ihrer absoluten Macht, sondern auch ein konkreter Ausdruck ihrer anmaßenden Verbindung zu Unsterblichkeit und Göttlichkeit.

Im glanzvollen Zeitalter des Römischen Reiches nahmen einige Kaiser den Titel “Divus”, also “Gott”, an. Dies ging über das Streben nach politischer Legitimität hinaus und war ein Versuch, ihre eigene Existenz über die gewöhnlicher Menschen zu erheben und ihnen eine heilige Qualität zuzuschreiben. Der Kaiserkult wurde zwar als Mittel zur Einheit des Staates angesehen, spiegelte aber auch die individuelle Arroganz und den grenzenlosen Ehrgeiz wider.

Dieses Streben nach Vergöttlichung ist kein Phänomen, das auf die Antike beschränkt ist. Im Laufe der Geschichte haben Machthaber in absoluten Monarchien und totalitären Regimen oft versucht, ihre Autorität mit einer unantastbaren Heiligkeit zu versehen. Dies deutet auf eine Gefahr hin, die der Macht innewohnt: Unbegrenzte Macht kann den Einzelnen von seiner Realität entfernen und ihn in eine Art Größenwahn treiben.

Heute begegnet uns dieser Geisteszustand in anderer Gestalt im komplexen und wettbewerbsorientierten Umfeld moderner Städte. Obwohl keine Könige mehr auf Thronen sitzen, weist die Selbstsucht, Rücksichtslosigkeit und der Überlegenheitskomplex, den Einzelne in ihren kleinen “Machtbereichen” zeigen, Parallelen zu der historischen Arroganz auf.

Die kleinen Götter moderner Städte: Der Aufstieg der Selbstsucht und der Verlust der Empathie

In den komplexen Labyrinthen moderner Metropolen hat sich die übermäßige Konzentration des Einzelnen auf sein eigenes Selbst zu einer Art spiritueller Epidemie entwickelt. Das von der Konsumkultur propagierte Verständnis von “alles für dich”, das Gefühl der Einsamkeit, das die Individualisierung mit sich bringt, und die künstliche Wahrnehmung von “Perfektion”, die von den sozialen Medien erzeugt wird, gehören zu den Hauptquellen dieser modernen Arroganz. Während jeder versucht, das idealisierte Leben hinter den glänzenden Schaufenstern zu erreichen, neigt er dazu, die Realität und die Bedürfnisse des Menschen neben sich zu ignorieren.

Soziale Medienplattformen befeuern diese Situation noch weiter an. Einzelne inszenieren ihre sorgfältig ausgewählten Momente, ihre gefilterten Bilder und ihre übertriebenen Erfolgsgeschichten und treten so in einen Wettbewerb um die Schaffung eines virtuellen “göttlichen” Images ein. Mit der Zunahme von Likes und Followern entsteht eine übersteigerte Wahrnehmung der eigenen Wichtigkeit, und diese virtuelle Arroganz spiegelt sich auch in realen Beziehungen wider. Anstelle von gegenseitigem Verständnis und Empathie stehen ein ständiges Bemühen, sich zu beweisen und andere zu beeindrucken, im Vordergrund.

Eine der bittersten Folgen dieser egozentrischen Haltung ist die Schwächung der gesellschaftlichen Bindungen und das Abstumpfen der Empathiefähigkeit. Wie Erich Fromm in “Die Kunst des Liebens” betont, erfordert wahre Liebe und Verbundenheit das Verständnis für die Existenz und die Bedürfnisse des anderen, die Verschmelzung mit ihm. Die “kleinen Götter” der modernen Arroganz haben jedoch Schwierigkeiten, ihre eigene Welt zu verlassen. Die Leiden, Freuden und Sorgen anderer sind für sie entweder bedeutungslos oder eine Störung ihrer “heiligen” Agenda.

Die gesellschaftlichen Folgen dieser weit verbreiteten Selbstsucht sind verheerend. Die Erosion gemeinsamer Werte, der Verlust des Solidaritätsgeistes, zunehmende Meinungsverschiedenheiten und Polarisierungen sind die giftigen Früchte dieser modernen Arroganz. Während jeder auf seiner eigenen Richtigkeit beharrt, verengt sich die Grundlage für Kompromiss und Zusammenarbeit zunehmend. Die Gesellschaft verwandelt sich in eine Menge von Individuen, die sich fremd geworden sind und in ihren eigenen kleinen “göttlichen” Illusionen leben.

Wie aber können wir diesen Teufelskreis durchbrechen? Vielleicht kann uns die Lehre des tugendhaften Lebens, die uns die Stoa, eine bedeutende Schule der antiken griechischen Philosophie, bietet, einen Weg weisen. Die Stoiker lehren, gegenüber äußeren Ereignissen standhaft zu sein, sich auf innere Tugenden zu konzentrieren und anderen gegenüber gerecht und verständnisvoll zu handeln. Anstatt Sklaven unserer eigenen Wünsche und unseres Egos zu sein, können wir lernen, in Harmonie mit der natürlichen Ordnung des Universums zu leben und die Existenz anderer wertzuschätzen – dies könnte das Gegenmittel zur modernen Arroganz sein.

Vielleicht liegt die eigentliche Frage darin, die leere Illusion des historischen Strebens nach “Vergöttlichung” zu erkennen und durch die Erkenntnis unserer eigenen Grenzen eine bescheidenere, empathischere und liebevollere Existenz anzunehmen. Andernfalls werden die “kleinen Götter” der modernen Städte weiterhin in ihrer eigenen Einsamkeit verloren gehen und das soziale Gefüge zersetzen.

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