

Quelle: Havadis
Foto: Freepik
Autor: Deniz Baturer
Datum: 11/04/2025
Kategorie: Welt
Neues Schachspiel im Nahen Osten: Wenn die Elefanten auf Syriens Bühne trampeln…
Stellen Sie sich ein Land vor, einst durchdrungen von Geschichte, eine Wiege der Zivilisationen… Der Duft von Jasmin in den Gassen von Damaskus, die tausend Farben der Stoffe auf den Märkten von Aleppo… Heute jedoch ist dieses Land bedeckt von einer Wolke aus Trümmern, seine Städte Ruinen, seine Menschen in alle Winde zerstreut – eine Geographie des Leids… Wir sprechen von Syrien. Doch wenn Sie das Bild des Leids genauer betrachten, sehen Sie, dass über den Trümmern, am Himmel der Geisterstädte, nicht nur Geister schweben. Hier ist auch die riesige Bühne, auf der das neue „Große Spiel“ des 21. Jahrhunderts…
Was macht Syrien so unverzichtbar? Warum tummeln sich all die großen und kleinen „Brüder“ der Welt mit ihren Stellvertreterarmeen, Raketen und Agenten auf diesem Boden? Die Antwort ist einfach: Geographie ist Schicksal! Sein Tor zum Mittelmeer, seine Nachbarschaft zu Israel, der Türkei, dem Irak und dem Libanon, seine Lage am Scheideweg der Energierouten… Und natürlich das Machtvakuum, das nach jenem Sturm namens „Arabischer Frühling“ entstand… Es ist ein Naturgesetz: Ein Vakuum wird gefüllt! Und um dieses Vakuum zu füllen, standen sie Schlange.
Da ist zum einen der Russische Bär, der seit Zar Peter von warmen Meeren träumt… Putin hat das mit dem Fall der Sowjetunion verlorene Ansehen und die Macht durch den Rettungsring, den er dem Assad-Regime in Syrien zuwarf, zurückgewonnen. Mit den Stützpunkten Tartus und Hmeimim hat er im Mittelmeer Anker geworfen und Freund wie Feind gezeigt, dass er beim Schicksal nicht nur Syriens, sondern des gesamten Nahen Ostens mitredet. Er telefoniert mit Israel, um den Luftverkehr zu regeln, führt „Bruder“-Gespräche mit dem Iran und kann gleichzeitig mit uns S-400-Verhandlungen führen, während er uns in Idlib gegenübersteht. Ein wahrer Meister der Ränkespiele!
Auf der anderen Seite der Amerikanische Adler, der, obwohl er sagt „Ich habe genug vom Nahen Osten, ich wende mich Asien zu“, seine Füße einfach nicht aus der Region ziehen kann… Für ihn ist Syrien sowohl ein Gebiet zur Säuberung von den Resten der ISIS-Plage, als auch eine Verteidigungslinie gegen den Iran und eine Pufferzone für die Sicherheit seines Verbündeten Israel. Aber gleichzeitig bringt ihn sein Paktieren mit der YPG – die sein NATO-Verbündeter Türkei als „Terroristen“ bezeichnet – in Konflikt mit Ankara. Weder zieht er sich zurück, noch bleibt er ganz… Ein Zustand „strategischer Konfusion“.
Ein weiterer wichtiger Akteur auf der Bühne ist die Türkei, die bei jeder Gelegenheit daran erinnert, der Enkel des Osmanischen Reiches zu sein… Für uns ist Syrien ein Sicherheitsalptraum an unserer 911 Kilometer langen Grenze. Einerseits die Staatsbildungsphantasien der YPG, des Ablegers der PKK, andererseits die soziale und wirtschaftliche Last von Millionen von Flüchtlingen… Ankara versucht, mit Operationen wie „Schutzschild Euphrat“ und „Friedensquelle“ seine eigene „Sicherheitszone“ zu schaffen und dabei einen schwierigen Balanceakt zwischen Washington und Moskau zu vollführen. Mal sitzt man in Astana mit Russland und dem Iran am selben Tisch, mal steht man sich in Idlib gegenüber…
Und natürlich der Iran… Für die Mullahs ist Syrien der Schlüsselstein ihrer sogenannten „Achse des Widerstands“, der Linie Teheran-Bagdad-Damaskus-Beirut. Mit den Revolutionsgarden, der Hisbollah und schiitischen Milizen, die sie aus Afghanistan und Pakistan rekrutiert haben, haben sie eine reale Macht vor Ort geschaffen. Sie halten Assad an der Macht und erweitern ihren Einfluss bis an die israelische Grenze. Für Israel ist dies eine absolute „rote Linie“.
Genau hier kommt Israel ins Spiel, das von den Golanhöhen aus Syrien mit dem Fernglas beobachtet. Sein einziges Anliegen: Der Iran und seine Stellvertreter sollen von seinen Grenzen fernbleiben, und fortschrittliche Waffen dürfen nicht in die Hände der Hisbollah gelangen. Deshalb ist der syrische Luftraum fast zum Übungsplatz für israelische Jets geworden. Sie schlagen zu, immer wieder… Dank des mit Russland eingerichteten „Deeskalationsmechanismus“ umgehen sie dabei meist das russische Radar und die Raketen… Niemand weiß mehr genau, wer mit wem unter einer Decke steckt!
Wer leidet unter diesem Gerangel der Giganten auf syrischer Bühne? Natürlich das Gras, das zertreten wird… Also Millionen von Syrern. Ihre zerstörten Häuser, ihre verlorenen Leben sind nur statistische Daten in diesem großen Schachspiel. Die in Stellvertreterkriegen Getöteten sind lediglich Bauernopfer, die benutzt werden, um den nächsten Zug zu legitimieren. Während die Führer in Damaskus, Moskau, Washington, Ankara und Teheran Hände schütteln, gerät das Foto eines Kindes, das aus den Trümmern gezogen wird, schnell in Vergessenheit.
Das Ergebnis? Der syrische Knoten wird nicht gelöst, sondern immer komplexer. Jeder ist darauf aus, seine eigenen Interessen zu maximieren. Ein dauerhafter Frieden, Stabilität sind nicht in Sicht. Dieses blutige Schachspiel scheint noch viele Jahre andauern zu müssen. Und die syrische Bühne hält uns nicht nur die Tragödie eines Landes vor Augen, sondern auch einen bitteren Spiegel dafür, wie gnadenlos, wie interessengeleitet die internationalen Beziehungen im 21. Jahrhundert sind und wie leichtfertig Großmächte mit dem Schicksal kleiner Völker spielen. Ob in diesem Spiel jemand „Schachmatt“ sagen wird oder ob es immer unentschieden endet, werden wir sehen… Aber die Rechnung scheint immer an dieselbe Adresse zu gehen.