Quelle: Havadis Leser
Foto: Freepik
Autor: Bülent Güven

Datum: 21/02/2025
Kategorie: Deutschland

Wahlen für Migranten in Deutschland

Ich habe den Wahlkampfstand der rechtsextremen Partei AfD besucht, der für die Bundestagswahl am kommenden Sonntag, dem 23. Februar 2025, in der zentralsten Straße Hamburgs aufgebaut wurde – einer Stadt, in der 40 % der Bevölkerung einen Migrationshintergrund haben. Am Stand fragte ich den AfD-Kandidaten, ob ich als jemand mit Migrationshintergrund aus Deutschland ausgewiesen würde, falls die AfD Teil der Regierung wird.

Er beantwortete meine Frage mit zwei Gegenfragen.

Die erste Frage war, ob ich in Deutschland geboren wurde.
Obwohl ich nicht in Deutschland geboren bin, gab ich an, dass ich hier geboren sei.

Die zweite Frage war, ob ich jemals eine Straftat begangen habe.
Ich antwortete, dass mein Führungszeugnis sauber sei.

Daraufhin sagte er, dass ich nicht abgeschoben würde – nur Menschen, die nicht in Deutschland geboren wurden und kriminell sind.

Ich fragte ihn dann, ob auch kriminelle ethnische Deutsche abgeschoben würden.
Er begann auszuweichen, indem er sagte, dass er kein Problem mit Türken habe und jedes Jahr in der Türkei Urlaub mache.

Diese persönliche Erfahrung ist ein bezeichnendes Beispiel für das politische Klima in Deutschland.

Das zentrale Thema der Wahl am Sonntag sind Migranten.

Die rechtsextreme AfD hat in den letzten Jahren Migranten für alle Probleme in Deutschland verantwortlich gemacht, wodurch sie die öffentliche Debatte dominiert und Migration zum Hauptthema ihres Wahlkampfes gemacht hat.

Zentristische Parteien, die erkannt haben, dass dieser Diskurs in der Gesellschaft auf Resonanz stößt und Wählerstimmen bringt, haben AfD-Narrative übernommen und ihre Parteiprogramme entsprechend angepasst.

Das Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung hat untersucht, inwieweit rechtsextreme Rhetorik in den Wahlprogrammen der Parteien enthalten ist.

Demnach besteht mehr als 25 % des AfD-Wahlprogramms aus rechtsextremen Inhalten.

Bemerkenswert ist jedoch, dass auch sogenannte gemäßigte Parteien solche rechtsextremen Elemente in ihre Programme aufgenommen haben.

So basiert 15 % des Wahlprogramms der CDU, die in Umfragen bei rund 30 % liegt, auf rechtsextremer Rhetorik.

Ebenso haben die Sozialdemokraten und die Grünen rechtspopulistische Inhalte in Höhe von 7–8 % in ihre Programme integriert.

Dies bedeutet, dass die AfD, obwohl sie noch nicht an der Macht ist, das politische Klima und die politische Praxis bereits nach rechts verschoben hat.

Aus dieser Perspektive ist es keine Übertreibung, sondern eine realistische Einschätzung, dass Menschen mit Migrationshintergrund nach der Wahl schwierige Zeiten erwarten.

Die eigentliche Frage ist, wie Migranten auf diese Situation reagieren werden.

30 % der Bevölkerung in Deutschland haben einen Migrationshintergrund.

Von ihnen sind etwa 9 Millionen wahlberechtigt – manche Studien sprechen von 7,5 Millionen.

Das entspricht 12–15 % der insgesamt rund 60 Millionen Wähler.

Damit hätten Menschen mit Migrationshintergrund eigentlich das Potenzial, den Wahlausgang maßgeblich zu beeinflussen.

Das Hauptproblem ist jedoch, dass Migranten ihr Wahlrecht nicht ernst genug nehmen.

Während die allgemeine Wahlbeteiligung in Deutschland bei Bundestagswahlen bei etwa 70 % liegt, lag sie bei Menschen mit Migrationshintergrund in den letzten Wahlen nur bei rund 20 %.

Interessanterweise beteiligen sich Migranten häufiger an Wahlen in ihren Herkunftsländern als in Deutschland.

So lag die Wahlbeteiligung türkischstämmiger Wähler bei den letzten Parlamentswahlen in der Türkei bei rund 60 %, obwohl sie in Deutschland leben.

Dies allein mit mangelnder Integration zu erklären, greift zu kurz.

Faktoren wie die aktive Wahlkampfführung türkischer Parteien in Deutschland oder die Tatsache, dass deutsche Parteien nur selten Migranten als aussichtsreiche Kandidaten aufstellen, spielen ebenfalls eine Rolle.

Doch angesichts des aktuellen politischen Klimas kann dies keine Entschuldigung für politische Passivität sein – besonders nicht in einer Wahl, in der die AfD immer stärker wird und das politische Geschehen prägt.

Die Ampelregierung unter Olaf Scholz hat gemeinsam mit den Grünen ein Gesetz verabschiedet, das die deutsche Gesellschaft in den kommenden Jahren verändern wird:

Die doppelte Staatsbürgerschaft ist nun möglich.

Derzeit haben 11 Millionen Menschen mit Migrationshintergrund das Recht, die deutsche Staatsbürgerschaft zu beantragen.

Zudem können Fachkräfte, die nach Deutschland kommen und bestimmte Voraussetzungen erfüllen, bereits nach drei Jahren die deutsche Staatsbürgerschaft erhalten.

Dies bedeutet, dass der Anteil der Migranten unter den Wählern in den kommenden Jahren steigen wird.

Daher wird eine migrationsfeindliche Rhetorik langfristig keine Mehrheiten mehr gewinnen können.

Um dieses Gesetz dauerhaft zu sichern, muss jedoch mindestens eine der Parteien, die es eingeführt haben, in der Regierung bleiben.

Deshalb müssen Menschen mit Migrationshintergrund ihr Wahlrecht diesmal strategisch nutzen.

Von den wahlberechtigten Migranten sind etwa 1,1 Millionen türkischer Herkunft.

Muslime und türkischstämmige Wähler sind besonders verärgert über die bedingungslose Unterstützung Israels durch deutsche Parteien im Gaza-Konflikt.

Viele erwägen daher, gar nicht zu wählen oder ihre Stimme Protestparteien zu geben.

So nachvollziehbar diese emotionale Reaktion auch ist, sollte man die langfristigen Folgen für Migranten nicht ignorieren.

Diese Wahl ist eine Schicksalswahl für Migranten.

Sie müssen sich nicht nur aktiv an Wahlen beteiligen, sondern auch innerhalb bestehender deutscher Parteien engagieren.

Denn ethnische Parteien, die von Migranten gegründet wurden, haben bisher mehr geschadet als genutzt.

Sich in etablierten Parteien zu engagieren, ist langfristig der beste Weg, um politische Veränderungen zu bewirken.

Wenn Menschen mit Migrationshintergrund politisch passiv bleiben, könnte die AfD in wenigen Jahren an die Macht kommen – dann wäre es zu spät.

Man darf nicht vergessen:

Deutschland hat im 20. Jahrhundert den Faschismus konsequent umgesetzt und einen Völkermord begangen.

Viele jüdische Soldaten, die im Ersten Weltkrieg in deutschen Uniformen kämpften, konvertierten später zum Christentum, um ihre Loyalität zu Deutschland zu zeigen.

Doch als die Nazis unter Hitler an die Macht kamen, wurden sie dennoch aufgrund ihrer Herkunft verfolgt und ermordet.

Es gibt keine Garantie, dass sich eine solche Geschichte nicht wiederholt – diesmal vielleicht mit Muslimen als Zielgruppe.

Migranten, die aus Angst vor der AfD überlegen, Deutschland zu verlassen, sollten sich eines bewusst machen:

Nach dem Zweiten Weltkrieg haben Migranten einen entscheidenden Beitrag zum Wiederaufbau Deutschlands geleistet.

Wer heute aus Angst vor der AfD geht, sollte sich fragen, was das für die erste Generation von Gastarbeitern bedeutet, die dieses Land mit aufgebaut hat.

Anstatt Deutschland zu verlassen, müssen Migranten sich politisch engagieren, um das demokratische und pluralistische Deutschland, das nach dem Krieg aufgebaut wurde, zu bewahren.

Die wichtigste Aufgabe in diesem Moment ist daher, am Sonntag zur Wahl zu gehen.

Deshalb: „Rafft euch auf – wir gehen nicht!“

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